Im ersten Raum werden die Grundlagen der Ausstellung dargelegt: interdisziplinäre und gesellschaftskritische Perspektive auf Seuchen. Aus (medizin-)historischer und aktueller Sicht wird aufgezeigt, dass Seuchen nie bloß medizinische oder biologische Phänomene sind, sondern immer mit gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Verhältnissen verwoben sind.
Die politischen Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie haben auch demokratiepolitische Konsequenzen. Es ist daher wichtig, die Krisenbewältigungspolitiken auch vor dem Hintergrund der bereits vor Corona bestehenden Krise der Demokratie und globalen Tendenzen der Autoritarisierung zu beleuchten. Ebenso gilt es zu fragen, wie Politik gestaltet sein müsste, um derartige Krisen gut zu bearbeiten und wie demokratische Formen von Biopolitik aussehen könnten.
Die Neoliberalisierung der Gesundheits- und Pflegesysteme der letzten Jahrzehnte stellte die Voraussetzungen dafür bereit, dass sich eine Gesundheitskrise zu einer gesellschaftlichen Krise ausweitete. In der Corona-Krise spitzt sich die generelle Unmöglichkeit zu, gesellschaftliche Reproduktion auf der Grundlage kapitalistischer Logik sicherzustellen. Darüber hinaus verdichten sich die Widersprüchlichkeiten einer politischen Ökonomie, die nicht die Bedürfnisse und Sicherheit aller, sondern die Vermehrung von Kapital an oberste Stelle setzt.
Aus (queer-)feministischer Perspektive wird schon lange kritisiert, dass gesellschaftliche Reproduktion über die Ausbeutung von (oftmals migrantischen) Frauen* organisiert wird. Zudem wurde auch schon vor der Corona-Krise problematisiert, dass Sorge-Tätigkeiten schlecht bezahlt, oftmals prekarisiert und mit wenig Anerkennung versehen sind. Die Corona-Krise stellt also erneut die Frage, wie Gesellschaften eigentlich für sich sorgen (müssten).
Bereits zu Kolonialzeiten waren Seuchenpolitiken auch Machtpolitiken. Dies setzt sich in der Gegenwart fort. Nicht nur führen neokoloniale Ungleichheiten und Abhängigkeiten dazu, dass die medizinische Versorgung und die Möglichkeiten, hygienische Maßnahmen einzuhalten, global extrem ungleich verteilt sind. Ebenso zeigen sich in Grenzschließungen und rassistischen Diskursen über den Ursprung des Virus, wie sehr Nationalismen, Rassismen und neokoloniale Machtverhältnisse die aktuellen politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie beeinflussen.
Das Corona-Virus offenbart die unvermeidbare Verletzbarkeit und Abhängigkeit der Menschen. Die dominante Antwort darauf ist allerdings eine Re-Aktivierung von Souveränitätsversprechen. Überaus deutlich wird dieses Festhalten an Souveränität an den Kriegsrhetoriken, die gegen das Virus bemüht werden, und die suggerieren, dass Verletzbarkeit überwindbar wäre. Eine emanzipatorische Politik müsste allerdings umgekehrt gerade die fundamentale Verbundenheit von Menschen und Verletzbarkeit zu ihrem Ausgangspunkt machen.
In der aktuellen Corona-Krise entstehen vielfältige Formen lokaler und globaler Solidaritäten sowie neue Formate von politischem Aktivismus. Soziale Bewegungen, NGOs und Aktivist*innen versuchen in unterschiedlicher Weise, die aktuelle Krise dafür zu nutzen, um Ungleichheiten und Widersprüche zu politisieren und neue Formen von globaler Solidarität und Fürsorge entstehen zu lassen.